Was verstehen wir unter Wildstauden?
Etwa 90 % der Stauden in unserem naturalistischen Garten
sind Wildstauden. Der Begriff Wildstauden ist leider sehr zweideutig,
besonders in Deutschland. Unter dem Begriff Wildstauden werden
hierzulande meist nur die
einheimischen Wildstauden verstanden. Dabei werden die laut Definition
ebenfalls zu den Wildstauden zählenden Gewächse, die von den
Pflanzensammlern vergangener Jahrhunderte in den gemäßigten Zonen
Europas, Amerikas und Asiens aufgespürt wurden, schlicht ignoriert.
Klaus Kaiser gibt in seinem Buch
„Wildstauden“ (1989) folgende Definition: "Als Wildstauden werden alle nicht
züchterisch bearbeiteten Stauden bezeichnet, die aus den gemäßigten
Klimazonen der ganzen Welt kommen. Somit nicht nur heimische Arten, wie
oft angenommen.“ Klaus Kaiser klärt in seinem Buch auch den weit
verbreiteten Irrtum auf, dass Sortennamen hinter dem Artnamen auf eine
züchterische Bearbeitung hindeuten, es sich also nicht um Wildstauden
handelt. So ist z. B. Rudbeckia fulgida var. sullivantii eine reine
Wildart, die jedoch von Karl Foerster in den 60er Jahren den Handelsnamen
‚Goldsturm’ erhielt. Heute ist diese Wildstaude die meistverkaufte
Staude der Welt.
Die doch recht engagierte Naturgartenbewegung, die in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts begann, hat den Begriff der Wildstauden auf
einheimische Wildstauden eingegrenzt. Damit ist den Wildstauden kein
guter Dienst erwiesen worden.
Das auch heute noch so gedacht wird, zeigt die Diplomarbeit von Raphaela
Berneder am Institut für Garten-, Obst- und Weinbau, Universität für
Bodenkultur, Wien (2008) mit dem Titel: „Wildstauden in der
gärtnerischen Kulturpraxis“. Hier werden für die Definition des
Begriffes Wildstauden folgende Zitierungen bemüht: „Wildwachsende
Staudenarten werden als Wildstauden bezeichnet.“ zitiert von Adler,
2008, S. 38ff. und zitiert von Jelitto, 1959, S. 117: „Der Begriff
„Wild“ bezieht sich auf die ursprüngliche Form am natürlichen Standort.“
Dabei wird leider nicht darauf eingegangen, dass dieser natürliche
Standort auch irgendwo in Amerika oder Asien sein kann. Ich habe den
Eindruck gewonnen, dass im gesamten Verlauf der Arbeit der Begriff
Wildstauden mit einheimischen Wildstauden gleichgesetzt wird.
In den Büchern von Piet Oudolf habe ich zwar nicht den Begriff Wildstaude
gefunden, stattdessen schreibt er von natürlich vorkommende Arten oder
Auslesen bzw. Pflanzen mit Wildcharakter, die zusammen mit von der Natur
inspirierten Pflanzplänen eine naturnahe Gartengestaltung definieren. Er
schreibt, dass die meisten Gärtner der Meinung sind, dass eine aus nur
heimischen Pflanzen bestehende Anlage kaum die visuellen Erlebnisse
bieten kann, die Menschen von Gärten erwarten.
Im Buch „Neue Staudenverwendung“ von Norbert Kühn (2011) steht zu Wildstauden: "Züchterisch nicht oder wenig
veränderte Ausgangsformen von natürlich vorkommenden Pflanzenarten.“
Hier wird in der Definition auch nicht darauf hingewiesen, dass
Wildstauden aus allen gemäßigten Klimazonen der Welt stammen können. Im
Text wird aber sehr deutlich, dass alle gemeint sind.
In einem weiteren, neuen Staudenbuch „Stauden im Garten“ von Bettina
Rehm-Wolters und Markus Zeiler (2011), wird bei der Vorstellung des
New
German Garden Style, der als neuer naturalistischer Gartenstil
bezeichnet wird, darauf
hingewiesen, dass im Gegensatz zur Naturgartenbewegung nicht nur
einheimische Stauden verwendet werden, sondern es kommen auch
fremdländische Wildstauden zum Einsatz.
Ich kann nur hoffen, dass sich die Wildstauden in der Gartenliteratur möglichst bald von der
Okkupation durch die Naturgartenbewegung völlig befreien und wieder das
sind, was sie mal waren und heute in unserem Garten sind, eine, grob
geschätzt, gute Hälfte aller in den Gärten blühenden Stauden. In den
G��rten des New German Garden Style werden es sicher mehr sein und in
unserem naturalistischen Garten, wie eingangs erwähnt, etwa 90 %. Davon
ist nur ein sehr kleiner Teil hier in Deutschland zu Hause.
Nun bleibt nur noch zu erklären, warum wir uns in unserem Garten für die
Wildstauden entschieden haben. Der erste Anstoß kam sicherlich von den
zahlreichen Verlusten wegen mangelnder Pflege bzw. fehlender
Widerstandsfähigkeit bei den hochgezüchteten Stauden.
Desweiteren war es die
berufliche Beschäftigung mit der Nutztierzüchtung, die mir klar gemacht
hat, dass manche Züchtungserfolge sehr fraglich und im eigenen Garten nicht notwendig sind.
Papageientulpen oder neonbunte Bart-Iris und Taglilien finde ich genau
so unnötig, wie Riesen-Kuheuter, Legehennen im Käfig oder Fleisch ohne
Fett. Die zahlreichen Züchter von "erstaunlichen, großen, bunten Blumen" mögen mir den Vergleich
verzeihen. Sicher ist die Staudenzüchtung auch ein interessantes Hobby
und sehr nützlich, wenn sie sich auf Krankheitsresistenz,
Standfestigkeit u. s. w. konzentriert.
Der viel diskutierte
ökologische Aspekt der Wildstauden hat auch eine wesentliche Bedeutung
für ein ergreifendes Naturerlebnis im Garten.
Vor allem aber ist es der von uns in den letzten Jahren angestrebte
naturalistische Gartenstil, der nur mit einem hohen Anteil von
Wildstauden und Gräsern verwirklicht werden kann.
Die Amerikanische Sumpf-Iris (Iris virginica) bekommt Besuch
von einer deutschen Hummel.
Eine interessante Diskussion zu Wildstauden gibt es unter:
http://forum.garten-pur.de/Stauden-24/Was-zaehlt-alles-zu-Wildstauden-29860_0A.htm.




