Shangrila im Hochland von Yunnan, China
Shangrila ist ein Mythos, eine Utopie und ein Zauberwort. Shangrila wird
als Trauminsel besungen und bezeichnet Hotels und Resorts überall
auf der Welt und besonders in Asien. Es gibt auch ein Buch und einen
Film über einen geheimnisvollen Ort mit dem Namen Shangrila
irgendwo in Tibet. Ich weiß nicht mehr, wie ich Shangrila fand, aber es
ließ mich nicht mehr los, nachdem ich das Buch gelesen hatte.
Bei Internet-Recherchen fand ich dann auch, dass ein Gebiet in China,
das zuvor Zhongdian hieß, 2001 zur Förderung des Tourismus offiziell in
Shangri-La umbenannt wurde. Am ersten Tag erkundete ich die Umgebung von Zhongdian und wanderte zum
Hühner-Tempel und anschließend zum Songzanlin-Kloster. Es fahren auch Busse
zum Kloster, aber ich wollte doch die Blumen am Wegesrand
erkunden. Das Kloster ist angelegt wie der Potala Palast in Lhasa und
wunderschön restauriert. Im Kloster leben 800 Mönche, und ich konnte
viele Räumlichkeiten besuchen und den Klängen ihrer Trommeln und Gesänge
lauschen. Die farbenprächtige Ausstattung, die zahlreichen Kerzen und
Gerüche ließen mich für einige Zeit die Wildstauden vergessen.
Die 5 km Fußmarsch haben sich gelohnt.
Unterwegs fand ich viele Gebirgspflanzen, wie
Androsacea spinulifera, Anemone rupestris, Lotus corniculatus var. japonicus, Aster souliei, Gentiana asterocalyx, Polygonum milletii, Iris ruthenica var. nana und viele andere.
Ein Tipp meiner Wirtsleute war auch der Besuch des Baiji Tempels. Der Name bedeutet "Tempel der Hundert Hühner".
Dieser kleine Tempel liegt oberhalb der Stadt und wird nur von einem
Mönch bewohnt, der tatsächlich zahlreiche Hühner und eine Kuh betreut.
Ich war sein einziger Besucher und wurde nach einer kleinen Spende mit
Yakbutter-Tee und Yak-Käse bewirtet. Das Naturschutzgebiet Bita-See liegt 25 km östlich von Zhongdian in 3.500 m
Höhe. Der See ist bis zu 40 m tief. Mehr als 2.000 Samenpflanzenarten sollen
hier vorkommen. Ich las, dass man zum See nur sehr schwer vordringen kann, da es
keine Straßen gibt. Leider, doch! So wünschenswert es für die abgelegenen
Gegenden Chinas ist, dass sich die Infrastruktur verbessert, so schrecklich ist
es für die letzten Naturparadiese. Es gibt inzwischen eine Straße, einen Busparkplatz für zig Reisebusse und einen
Holzsteg um den halben See. Die Bauarbeiten waren 2006 noch im Gange. Auf den
Wiesen weideten Pferde, und die berühmten Primeln konnte ich nur noch unterm
Steg entdecken, wo die Pferde sie nicht erreichten. Ob sie mit Huf oder Maul
vertrieben wurden, kann ich nicht sagen. So wandelten wir in Busbesatzungsstärke
auf dem Holzweg und bestaunten die herrlichen Rhododendren. Am Ende des Stegs
zwang uns ein Verbotsschild zum Umkehren. Ein Studentenpaar aus Shanghai, das
mit mir von Kevins Trekker Inn aufgebrochen war, meinte, dass ein Verbot zu
übertreten doch immer sehr reizvoll sei. Wo haben sie diese Weisheit wohl her?
Bestimmt nicht von Konfuzius. Doch in diesem Fall stimmte ich ihnen zu, und so
sah ich doch noch die Primelwiesen vom Bita-See. Primula secundiflora und
P. sikkimensis sind in Shangrila allgegenwärtig. Ihr Verbreitungsgebiet in der Höhe
erstreckt sich von 3.200 bis 4.400 m, wobei P. secundiflora bis 4.800 m
wächst. Während P. secundiflora auf China beschränkt bleibt, kommt P. sikkimensis
auch in Bhutan, Indien, Myanmar, Nepal und wie der Name schon sagt
in Sikkim vor. Die Yaks rühren sie nicht an.
Jedes Jahr im Mai und Juni entfalten sich die Rhododendrenbüsche am Steilufer
des Sees zu voller Pracht. Man sagt, dass die Blütenblätter der Rhododendren auf
die Wasseroberfläche fallen und die Fische sie fressen. Die Fische vergiften
sich dadurch und treiben Bauch nach oben. So werden sie eine leichte Beute der
Bären, die aus den umliegenden
Wäldern kommen. In Alaska sah ich einen ähnlichen
Steg an einem Bachlauf. Etwa 50 Leute waren da, einige schwerbewaffnet mit
Pfefferpistolen. Tatsächlich kam ein Bär zum Lachsfang! Das war am Abend, und
der Parkplatz für die Autos war gleich um die Ecke. Hier am Bita-See sah ich
keine Autos, aber wie lange noch? Der zweite Ausflug sollte zum Napa-See gehen, weil es dort Orchideen geben soll. Ein Taxifahrer war schnell
gefunden, und nach etwa 8 km hielt er mitten in einer Graslandebene in der Nähe
von Zhongdian (etwa 3.300 m üb. NN). Da er kein Englisch verstand, versuchte ich
ihm zu erklären, was ein See ist. Das war ihm auch völlig klar. Wo war das
Problem? Wollte er mehr Geld und mich bei Weigerung hier aussetzen? Dank Handy,
das hier auch funktionierte, konnten wir meine Wirtsleute anrufen. Die Lösung
war sehr einfach. Dieser See ist ein "seasonal lake", ein jahreszeitlich
begrenzter See, der sich im Hochsommer in ein riesiges Grasland verwandelt. Er
ist somit auch nur wenige Meter tief. Diese ausgefallenen natürlichen
Bedingungen werden nicht von vielen Pflanzen toleriert. Im Wesentlichen waren es
gelbe Büschel von Euphorbia nematocypha und Stellera chamaejasme.
Die erstere färbt sich im Herbst glühend rot. Stellera chamaejasme wird auch in den feuchten Steppen der Mongolei gefunden. Orchideen fand ich
leider nicht. Die blumenreichste Tour war die zum Himmels-See. Sie führte mich auf über 4.000
m Höhe. Leider war es auch die letzte, doch davon später. Kevin fuhr den Jeep,
seine Frau war ebenfalls dabei und einen Führer hatten sie auch noch engagiert.
Stundenlang ging es bergauf und nur einmal trafen wir auf ein anderes Auto mit
dessen Besatzung es einen heftigen Disput gab. Worum es ging, wurde mir leider
nicht gesagt. No problem! Ich vermute es waren Forstbeamte oder ähnliches, die
nicht wollten, dass ein Ausländer hier oben herumkriecht. In den Tälern fanden
wir längliche, geduckte Holzhäuser mit tibetischen Hirtenfamilien, die im Sommer
hier oben ihre Yaks weiden. Wenn ich in der Nähe der Häuser aussteigen wollte,
um Blumen zu fotografieren, musste ich zunächst eine Weile abwarten, bis die
Hunde von ihren Besitzern zurück gepfiffen wurden und beide uns
"beschnuppert" hatten. Meine chinesischen Wirtsleute meinten, dass sie die
Sprache der Hirten nicht verstehen aber an ihrer Mimik und Gestik deutlich
wurde, dass wir doch willkommen sind. An einer Stelle ging es sehr steil bergan, so dass wir aussteigen mussten, damit Kevin allein mit dem Auto die Steigung meistern konnte.
Der Nordwesten der chinesischen Provinz Yunnan, das Areal
der Hengduan Gebirges, bildet zusammen mit den anderen Gebieten des
Ost-Himalaya, wie Nepal, Bhutan, Sikkim, Südost-Tibet ein einzigartiges
Florenreich. Der Einfluss des
geringen Breitengrades (27° nördlicher Breite, wie z. B. Nordafrika) und
der großen Seehöhe (bis 4.000 m, wie z. B. die Alpengipfel) lässt mehr
als 5.000 Pflanzenarten gedeihen. Sie spielen eine große Rolle in der
Geschichte der Gartenkultur der ganzen Welt.
Im Juni 2006 war meine
vierte Dienstreise zur Agraruniversität von Nanjing. Einige Erfahrungen
mit Land und Leuten hatte ich also bereits gesammelt, so dass ich mich
entschloss, noch zwei Wochen Urlaub zu nehmen und diesmal ohne
chinesische Begleitung das Traumland Shangrila zu besuchen.
Die Bestimmung der Pflanzen erfolgte mit Hilfe des Buches Highland
Flowers of Yunnan von Guan Kaiyun und Zhou Zhekun.
Shangrila, Songzanlin-Kloster
"Kevins Trekker Inn", Morgenblick aus dem Fenster. Die größte
Gebetsmühle der Welt steht in der Altstadt.
"Kevins Trekker Inn" hat eine original tibetische Inneneinrichtung im
Aufenthaltsraum.
"Kevins Trekker Inn" war
schnell im Internet gefunden und das ganze Gegenteil der ebenfalls recht
zahlreichen Hotels in der Stadt Zhongdian. Die Eigentümer, ein junges,
freundliches chinesisches Ehepaar, sprachen sehr gut englisch. Ein
Doppelzimmer kostete 5 Euro pro Nacht, ein westliches Frühstück mit
Toast, Schinken, Marmelade, Rührei und einer großen Tasse hervorragendem
Yunnan-Kaffee kostete 1,30 Euro. Zum Abendessen gab es gebratene Nudeln
oder Reis mit etwas Fleisch und Gemüse für 1 Euro und eine Büchse Bier
für 0,80 Euro. Was will man mehr. Eine Tagestour mit dem Jeep in die
Berge, einschließlich Fahrer und Führer, kostete 50 Euro. Sicher hätte
man auch noch handeln können. In Zhongdian begegnet man zahlreichen
Zeugnissen der tibetischen Kultur, sowohl in der sorgsam rekonstruierten
Altstadt mit einer riesigen Gebetsmühle, als auch in den prachtvollen
Klöstern der Umgebung. Ausländischen Individualtouristen
bin ich nur gelegentlich begegnet. Was aber wird, wenn der
Massentourismus kommt?
Altstadt von Zhongdian
Wanderung zum Songzanlin-Kloster
Songzanlin-Kloster
"Hühner-Tempel" mit Gebetsfahnen
Mein Gastgeber im "Hühner Tempel"
Androsacea spinulifera
Hyoscyamus niger
Hinter den Klostermauern stand eine recht große, seltsame Pflanze. Im Buch "Highland Flowers of Yunnan" habe ich sie nicht gefunden. Ich schickte das Bild einer sehr versierten Gartenfreundin, die es auf Anhieb erkannte. Es ist Hyoscyamus niger, das Schwarze Bilsenkraut
auch als Schlafkraut, Teufelswurz und Tollkraut bezeichnet. Es kommt in Europa
und Asien und sogar in Nordafrika vor. Das Bilsenkraut ist als Droge mit
berauschender Wirkung seit langem bekannt und wurde daher auch als Hexenpflanze
bezeichnet. Man kann es rauchen oder einen Tee bereiten. Da das hier kein
Rezeptbuch für Drogenfreunde werden soll, will ich es damit belassen, obwohl die
Droge legal ist und wenig Suchtpotential haben soll. In der Vergangenheit wurde
es auch als Gift eingesetzt. Bevor das Reinheitsgebot für Bier in Kraft trat,
sollen die Samen zur Verstärkung der alkoholischen Wirkung verwendet worden
sein. Was die Mönche damit getrieben haben, weiß ich leider nicht.
Busfahrt zum Bita-See
Bita-See
Rhododendren am "Holzweg"
Yaks und Primula secundiflora
P. sikkimensis
Taxifahrt zum Napa-See
Euphorbia nematocypha
im Napa-See
Stellera chamaejasme
Anemone rupestris
Lotus corniculatus var. japonicus
Aster souliei
Gentiana asterocalyx
Iris ruthenica var. nana
Mit dem Jeep zum Himmels-See
Hengduan Gebirge
Siedlung der Yakhirten
Iris und Primeln
In den Tälern auf dem Weg zum Himmels-See fanden wir herrliche Blumenwiesen
mit Iris, Vergißmeinnicht, Adonisröschen und den verschiedenen Primelarten.
Im Hochland von Yunnan gibt es 100 verschiedene Primelarten, 110 Arten
Gentiana und 216 Arten von Pedicularis.
Incarvillea zhongdianensis
Einige Pflanzen sind nur hier zu
finden und tragen dann auch den Artnamen, zhongdianensis, wie z. B. Incarvillea zhongdianensis. Im Unterschied zu I. forrestii sind die Blätter tiefer eingeschnitten und die seitlichen Blütenblätter sind bei I. zhongdianensis etwas zurückgeschlagen oder verdreht. Zunächst dachte ich,
die Blüten seien schon etwas welk, aber ich konnte nur Blüten mit zurück
geschlagenen Blütenblättern finden.
Die Vielzahl der Pflanzenarten im Hochland von Yunnan ergibt sich sicher
auch daraus, dass wir z. B. auf dieser Tour zum Himmelssee 1.000 Höhenmeter
überwunden haben. Die Wiesen waren auch hier oben sehr oft überweidet, und
es steht zu befürchten, dass endemische Pflanzenarten möglicherweise
unwiederbringlich verloren gehen.
Incarvillea forrestii
Cynoglossum amabile ist wohl ein Synonym für
Hackelia uncinata bzw.
H. glochidiata.
Das Chinesische Vergißmeinnicht soll in verschiedenen
Himalaja-Tälern in Höhen von 2.400-3.500 m vorkommen. Die Pflanze wird als
Himalaja-Blume bezeichnet und wird sehr oft im Zusammenhang mit dem "Valley of
Flowers National Park", einem indischen Nationalpark im West-Himalaya genannt.
Leider sind sich die Quellen nicht einig, ob die Pflanze nun ein- oder
zweijährig ist oder gar eine Staude. Samen kann man jedenfalls kaufen.
Cynoglossum amabile
Mecacodon ist eine Gattung der Enziangewächse und hat nur zwei Arten.
Mecacodon stylophorus kommt in Höhen von 3000 bis 4400 m und nur im
Ost-Himalaya vor. Über eine Verwendung der Pflanze im Garten ist nichts bekannt.
Für
Adonis brevistyla gibt es schon eher Hinweise auf eine Gartenverwendung.
Pedicularis siphonantha
Nach etwa drei Stunden Fahrt haben wir den Himmelssee in 4.000 m Höhe erreicht.
Das Seeufer ist ziemlich flach für einen Gebirgssee. Es ist mit
Rhododendrenbüschen in vielen verschiedenen Farben und Größen bedeckt, d. h. es
müssen auch verschiedene Arten sein. Im Hochland von Yunnan gibt es 200
verschiedene Arten von Rhododendron. Leider reicht der Platz nicht aus, sie hier
zu zeigen. Von den Blütenstauden fallen die überall in Yunnan vorkommenden
Primula secundiflora und
P. sikkimensis als erstes ins Auge. Es war so
schön hier, dass ich am liebsten ein paar Tage hier oben geblieben wäre.
Erstaunt war ich, dass in 4.000 m Höhe auch ein Feuerkolben,
Arisaema elephas zu
finden ist. Bisher hatte ich Vertreter der Gattung auf japanischen subtropischen
Inseln und im Kuju Hochland in 1.000 m Höhe gefunden. Sie werden auch als
Kobralilien bezeichnet, da sie wie eine aufgerichtete Kobra auf der Wiese
züngeln. Eine fast schon gespenstige Erscheinung.
Rhododendren und Primeln am Himmels-See
Arisaema elephas, Kobralilie
Veratrilla bailloni
Iris delavayi
Nomocharis forrestii ist eine weithin rosa leuchtende, etwas zarte Blume.
Zur Gattung gehören weniger als 10 Arten, und sie sind auch nicht klar
unterschieden. Ein Bild, ähnlich dem meinen, wird bei Wikipedia als
N. aperta bezeichnet. Wenn man eine so schöne Pflanze sieht, fragt man sich sofort, warum
habe ich sie noch nie in einem Garten gesehen? Sicher sind es die ganz
besonderen Bedingungen hier oben im Hochland von Yunnan, die nur im
Liebhabergarten erfüllt werden können.
Besonders gefreut habe ich mich, dass ich Vertreter meiner Lieblingsstauden hier
oben gefunden habe, Rodgersien und Ligularien. Während
Rodgersia pinnata,
obwohl sie nur in 2.000 bis 3.800 m Höhe vorkommt, eine bekannte Gartenstaude ist, gibt es über
Ligularia lankongensis kaum Informationen, erst recht nicht über
eine Verwendung im Garten. Sollten doch noch Schätze für unsere Gärten im
Hochland von Yunnan schlummern?
Rodgersia pinnata
Ligularia lankongensis
oder L. macrophyllum
Iris spec.
Lilium souliei
Primula chionantha ssp.sinopurpurea
Himmels-See
Leider zogen schon bald dicke Wolken auf, und meine Begleiter mahnten zur
Eile. Sie meinten, wenn es hier einen Regen gibt, verwandeln sich die Wege
in Sturzbäche, und wir kommen nicht mehr runter. Da ich auch ein bisschen
Höhenkrankheit spürte, willigte ich notgedrungen ein. Die Höhenkrankheit
habe ich bei meiner Reiseplanung leider überhaupt nicht berücksichtigt, und
deshalb bin ich vorsichtshalber am Tag nach der Tour zum Himmelssee
zurückgeflogen. Was hatte ich falsch gemacht? Ich flog an einem Tag von
Nanjing, etwa in Meereshöhe, nach Kunming in 2.000 m Höhe und gleich
anschließend nach Zhongdian in 3.300 m Höhe. Die "Oxygen-Bar"am
Busparkplatz des Bita-Sees amüsierte mich, und das Verhalten eines
Amerikaners in Kevins Trekker Inn war mir unverständlich. Er frühstückte
morgens mit mir, und als ich am Nachmittag von meinem Ausflug zurückkam, saß
er immer noch da. „Was hast du denn heute gemacht?“ fragte ich ihn.
Seine Antwort: "I had a second cup of coffee, that was it for today!". Er
erzählte auch, dass er sich zunächst ein paar Tage in Kunming
akklimatisierte, bevor er nach Zhongdian flog. Leider konnte ich durch meine
Unachtsamkeit nicht alle geplanten Touren im Hochland von Yunnan erfüllen.
Mehr über Land und Leute unter:
http://globetrotter-wegner.de/Seiten/Shangri-La.html